Weil es verboten ist.

Vor einigen Wochen im Auto: „Ich hätte ja nicht gedacht“, staunt der Kollege eines Kollegen, „dass es in Norddeutschland so schwierig ist einen Platz zu finden, an dem man Landboarden kann.“ Wir fuhren die rund 35km zu einer – mittlerweile halb umgebaggerten und im Rest durch nach Kaninchen grabenden Hunden zerklüfteten – Wiese am Westufer der Weser. Wir, drei faszinierte Anfänger darin, sich von einem Lenkdrachen („Kite“) auf einem „Rollbrett“ („Landboard“, „Mountainboard“, ATB) ziehen zu lassen, sind mittlerweile tatsächlich etwas konsterniert, dass es zwischen Weser und Ems kaum einen Ort zu geben scheint, an dem man gerne gesehen ist. Vor 15 Jahren hieß es doch, wir sollten endlich mal vom PC weg und „nach draußen“ gehen, oder? Nach einigen Versuchen und zwei heftigen Hagelschauern packe schlussendlich auch ich die Utensilien mit eiskalten Fingern zusammen und renne zum laufend bereitstehenden „Fluchtauto“.

Foto: Rollx, CC-BY-SA 3.0

Foto: Rollx, CC-BY-SA 3.0

Ich habe noch nicht ganz aufgegeben. Vorgestern war wiedereinmal Wind. Sehr böig, aber immerhin Wind, ohne Regen. Schon durchaus eine Seltenheit zu dieser Jahreszeit in diesen Graden. Ich bin überzeugt davon, dass ich heute endlich einen neuen, vor allem näheren Ort finden kann, der ein „Herumrollen“ möglich macht. Das Carsharing-Auto ist gemietet, alles gepackt: Ich bin auf dem Weg zum Flugplatz Oldenburg-Hatten. Auf Satellitenbildern hatte ich erkannt, dass dort, natürlich getrennt von der rund 800m langen Rasenpiste, ausgiebige Rasenflächen vorhanden sind. Parkende Flugzeuge sollten schon bedeuten, dass dies kein Naturschutzgebiet sein kann, oder?
Angekommen wirkt die Anlage vollkommen verlassen. Kein Flugzeug, kein Auto, kein Mitarbeiter, kein Geräusch. In der Woche kann nur nach vorheriger Anfrage gelandet oder gestartet werden. Bei den Gebäuden neben der Landebahn sind tatsächlich Rasenflächen. Nicht alles gemäht, aber warum auch? Nach einigem Klötern in den Hallen, in denen wohl kleine Sportflugzeuge auf ihren sommerlichen Einsatz warten, komme ich in’s Gespräch mit einem netten Herren. Er kümmert sich hier darum, dass der „Platz  in Ordnung ist“. Auf meine Nachfrage, ob ich da hinter der halle auf der Wiese fahren dürfte, lächelt er und meint: „Warum nicht? Stören kannst du da niemanden. Und heute schon gar nicht… Kannst du mir das mal zeigen? Das würde mich sehr interessieren, was du da für einen Sport machst; ich kann mir das nicht richtig vorstellen.“ Klar, gerne, ich fahre erfreut fort und erkläre meine Pläne. Und auch, dass es so schwer ist überhaupt einen Ort zu finden, von dem man nicht mit Mistgabeln um Sorge um die leere Kuhweise vertrieben wird. „Naja, mehr kaputt machen, als ein Flugzeug kannst mit deinem Brett ja überhaupt nicht!“ Vorfreunde keimt auf. „Aber besser, du rufst noch die Inhaberin des Platzes an und fragst nach. Nur, damit es offiziell ist.“ „Und wie erkläre ich ihr das? Einfach, dass ich Drachensteigen lassen würde?“ Die Umleitung der Telefonnummer der Flugplatzverwaltung auf ein Mobiltelefon funktioniert tatsächlich und gleich habe ich die ältere Dame an der Leitung: „Was möchten sie tun?“ Ich erkläre mich freundlich. „Nein. Das ist ein Flugplatz.“ „Selbstverständlich. Ich frage auch nur wegen der Wiese hinter der Halle.“ „Nein, tut mir leid.“ Im Hintergrund grummeln rege Gespräche. Teetassen klimpern. „Wissen Sie, es ist so schwer um Oldenburg eine feste Wiese zu finden. Es wäre wirklich toll, wenn Sie das möglich machen könnten.“ „Ich hatte schon so viele Probleme mit fremden Leuten, die ankommen und irgendwas wollen.“ „Ich bin ausgezeichnet haftpflichtversichert, falls das Ihre Bedenken sind.“ Die gleiche Antwort. „Eine kleine Gebühr, wäre vollkommen in Ordnung. 5 Euro vielleicht?“ „Ich sagte ja schon: Ich kann ihnen nicht helfen…“ „Aber…“, langsam klingt meine Verzweiflung durch, „warum eigentlich nicht?“ „Weil es verboten ist.“ Stille. „Aha.“ Ich verabschiede mich freundlich („Na, dann geht’s natürlich wirklich nicht.“) und lege auf.
Der Herr und ich stehen vor der großen, ungenutzten Wiese. Wir starren still einen kurzen Moment ungläubig in die Unendlichkeit. Ein Lächeln kommt auf mein Gesicht. Ich hinterlasse meine Nummer und verabschiede mich mit Handschlag. „Deutschland“, denke ich zu mir.

10 Minuten später: Ich packe neben einem begrünten Acker die Sachen aus dem Auto.
30 Minuten später: Ich bin mit dem Board im viel zu weichen Boden stecken geblieben, hingefallen und streife mir den Rest des zur Düngung auf das Land gefahrenen Mists ab.

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